Warum Hängen so gesund ist – ein Liebesbrief ans Rumhängen

Wann haben wir eigentlich aufgehört zu krabbeln, auf Bäume zu klettern, kopfüber an Stangen zu hängen? Oder besser gefragt: Warum haben wir aufgehört? Es gibt keine natürlicheren und spielerischeren Bewegungsformen, die den Körper kräftigen und ihn auf alle Bewegungen des Alltags vorbereiten. Ich möchte euch in diesem Blogbeitrag sagen, warum vor allem das Hängen so großartig ist.

Zunächst einmal muss man zwischen drei Arten des Hängens unterscheiden: dem passiven Hängen, dem aktiven Hängen und dem dynamischen Hängen.

Passives Hängen

  • passives Hängen/Dead Hang: Dafür greifst du eine Stange, den Türrahmen oder einen Ast und lässt den Schultergürtel sowie den Rest des Körpers so locker und passiv wie möglich. Größtenteils werden dafür deine Unterarmmuskulatur und deine Griffkraft aktiv genutzt, während du den Rest des Körpers der Schwerkraft hingibst, die Schultern eher inaktiv sind und die Schulterblätter nach oben gleiten (Elevation).

  • aktives Hängen: Hier bewegst du dich entgegen der Schwerkraft. Bei gestreckten Armen ziehst du die Schultern nach unten (Depression) und aktivierst den gesamten Schultergürtel.

  • dynamisches Hängen: Dabei nutzt du eine Mischung aus passivem und aktivem Hängen sowie verschiedenen Griffen und etwas Momentum. Beispielsweise beim Schwingen, einarmigen Hängen oder fortbewegen.

Aktives Hängen

  • Griffe: Die drei Varianten lassen sich mit verschiedenen Griffen machen. Ich würde – nach einiger Zeit des Trainings – sagen: Vary your practice. Also variiere immer mal wieder die Griffe oder den Ort des Hängens (bsp. von der Stange an den Baum), um nicht zu sehr an einem Stil oder einer Art des Trainings anzuhaften.   

Hängen – Ein Allheilmittel?

Es gibt Menschen, die schwören aufs Hängen, sagen sogar, es heile 99 Prozent aller Schulterbeschwerden. So weit möchte und kann ich nicht gehen, dazu fehlt mir schlicht das Wissen und absolute Aussagen halte ich für gefährlich. Ich denke, die Wirkung einer Praxis ist immer sehr subjektiv und hängt von verschiedenen Faktoren ab: derzeitige Verfassung des Übenden, Vorerkrankungen, Ausführung der Übung, Häufigkeit des Übens etc.

Was ich allerdings sagen kann: Es macht Spaß, dem Ganzen mal ‘ne Chance zu geben. Jeder kann ganz individuell für sich herausfinden, welche Form des Hängens passend ist, was sich gut anfühlt. Im Alltag sind wir es meistens nicht mehr gewöhnt, die Arme über Kopf zu haben (außer du bist Profi-Volleyballer oder -Volleyballerin, Maler oder Malerin, Fensterputzer oder Fensterputzerin…). Also gib dir Zeit, genau hinzuspüren, wie sich Hängen anfühlt.

Schulter ist nicht gleich Schulter

Die oben genannte Reihenfolge ist keine fest vorgeschriebene. Also: Hängen beginnt nicht pauschal mit passivem Hängen. Es kann sogar sein, dass es für manche Schultern besser ist, erstmal aktiv zu hängen, um Stabilität zu trainieren anstatt die Flexibilität zu fördern. Beispielsweise bei hypermobilen Schultern – ich nenne das Beispiel, weil meine Schultern von Natur aus bereits sehr beweglich sind, mein Defizit ist eher die Stabilität, also liegt mein Fokus auf aktivem Hängen. Wer eher an der Flexibilität der Schultern arbeiten möchte, kann mit passivem Hängen beginnen und sich mehr aufs Stretchen fokussieren.

Einige Vorteile des Hängens:

  • Die Schwerkraft machen lassen, Platz schaffen: Wir gehen, sitzen, liegen – immer mit dabei ist die Schwerkraft, die uns am Boden hält. Unsere Gelenke mit all den Knorpeln und Bandscheiben sind dafür gemacht, die Schwerkraft zu (er)tragen. Jeder Schritt, jede Bewegung wird abgefedert. Die Gelenkspalten, die Bandscheiben oder die Menisci lieben es jedoch, immer mal wieder ‘ne Pause zu bekommen, um sich wieder auf den nächsten Tag in Höchstleistung vorzubereiten. Wie ein Schwamm, der sich immer wieder mit Wasser vollsaugt, so saugen sich auch – bildlich – die Bandscheiben wieder voll, wenn sie nicht unter Belastung stehen, beispielsweise wenn du liegst (im Schlaf). Du kannst dem Ganzen etwas nachhelfen, indem du die Wirbelsäule mal „auseinander ziehst“. Das übernimmt im Hängen die Schwerkraft: Oben fixieren deine Hände den Körper, während der Rest von der Schwerkraft nach unten gezogen wird, eben auch die Zwischenräume in Gelenken und Wirbeln. Das ist alles sehr vereinfacht dargestellt, aber vielleicht kannst du die Wirkung des passiven Hängens für die Wirbelsäule und Gelenke erkennen. Übrigens: Aushängen ist auch für die Hüfte toll. Dafür kannst du an einer Stange hängen (wichtig ist, dass wirklich das ganze Bein und der Fuß und jeder Zeh locker lassen kann), oder du stellst dich mit einem Bein auf einen Stuhl, hältst dich an der Wand fest und schwingst das Bein.

  • Kräftigung: Hängen kann eine perfekte Vorbereitung für andere Sportarten wie Krafttraining oder Klettern sein. Deine Unterarmmuskulatur und deine Griffkraft werden gestärkt.

  • Durchblutung: Wenn du mal zu viel am PC gesessen hast, zu viel geschrieben hast oder Auto gefahren bist, ist das Aktivieren und somit Durchbluten der Bereiche, die ganz schön was leisten mussten, oft wohltuender, als im Liegen zu entspannen. Du kennst das sicher, wenn du den ganzen Tag gesessen hast, ist es manchmal super schwierig, auf den Boden zu liegen und die Beine auszustrecken. Dein Körper ist noch so sehr im Sitzmodus, dass sich angewinkelte Beine oder erstmal ein bisschen lockern und durchbewegen einfach besser anfühlen (ganz zu schweigen vom Gedankenkarussell im Kopf). So kann das auch in kleineren Strukturen wie den Handgelenken oder Fingern sein. Gönn ihnen etwas Aufmerksamkeit durch das Kräftigen und bewusste Greifen.

Schmerzen sind ein Warnsignal

Ich hatte bereits geschrieben, dass es starke Befürworter des Hängens gibt, Hängen könne 99 Prozent aller Schulterbeschwerden heilen. Dabei beziehe ich mich auf ein recht bekanntes Buch des Orthopäden Dr. John M. Kirsch: Shoulder Pain? the Solution & Prevention”. Er erklärt, wie 90 Patienten (von 92)  in seiner Studie durch Hängen (und Krafttraining) ihre Schulterschmerzen losgeworden oder einer Schulteroperation absagen konnten. Zudem sagt er, Schmerzen seien gut. Man müsse sich einfach durchbeißen. Das halte ich für sehr gefährlich: Schließlich sind Schmerzen Warnsignale. Ich denke, es ist nie gut, im Schmerz zu üben (dazu zählt schon ein unangenehmes Gefühl oder zu starker Druck). Mein Yogatherapielehrer würde mir da jetzt sicher zustimmen.

Auch einer der Meister der Movement-Bewegung und ein Verfechter des Hängens, Ido Portal, hat sich intensiv mit dem Hängen auseinandergesetzt. Er bezieht sich unter anderem auf die Daten aus dem Buch von Dr. Krisch.

Generell gilt: Wenn du jetzt richtig Bock hast, rumzuhängen, die Seele und den Körper baumeln zu lassen, dann mach das bitte mit einem ganz achtsamen und neugierigen Blick. Ich liebe es zu hängen, meine Schultern auch – das muss aber nicht bedeuten, dass es bei dir auf Anhieb genauso ist. Aber find’s heraus – widerspreche mir, füge deine Ansicht und deine Erfahrung hinzu. Ich freu mich über dein Feedback.

Meine Empfehlung für den Einstieg ins Training:

  • 1. Woche: Hänge morgens und abends für je 3 x 30 Sekunden (30 Sekunden Pause dazwischen)

  • 2. Woche: Packe 5-10 Sekunden (aufs Hängen und die Pause) drauf

  • 3. Woche: Wenn du merkst, das geht easy, dann mach 2 x 60 Sekunden (60 Sek. Pause) und steigere dich fortan in der Anzahl der Wiederholungen (3x60, 4x60 etc.)

  • Tipp: Fordere doch mal deine Freunde heraus: Wer kann länger hängen? Das kann ein neuer Trainingsanreiz sein :)

  • Kopfüber. Ja, go for it! Beine ranklemmen und los. Wer Ringe hat, hat’s da etwas leichter. Oder du gehst einfach auf den nächsten Spielplatz.

Und bei all dem: Lächeln im Hängen macht vieles leichter und ist gar nicht mal so anstrengend :)

Falls du nochmal nachlesen möchtest:

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Achtsamkeitstraining – und wie ich da hineingestolpert bin